Am 2. Juni war der Internationale Tag der Sexarbeiter*innen. Weltweit schließen sich Sexarbeiter*innen zusammen und gehen an diesem Tag auf die Straße. Mit nur einem Tag der Aktionen und Solidaritätsbekundungen ist es aber nicht getan. Der Kampf um Anerkennung und Rechte ist wichtiger denn je: In vielen Ländern ist Sexarbeit kriminalisiert und wird strafrechtlich verfolgt. Das soziale Stigma, das Sexarbeit anhaftet, führt weltweit zu Ausgrenzung und Diskriminierung, darin bilden auch die Länder des globalen Nordens keine Ausnahme. In einem antidemokratischen Backlash in Europa und den USA werden gegen Geschlechtergerechtigkeit gehetzt und die Sex Wars der 1980er Jahre wiederbelebt. Moralische Panikmache und christlich-fundamentalistische Narrative werden genutzt,  um sexuelle Selbstbestimmung, Feminismus und Sexarbeit zu bekämpfen. Die konservativen Bemühungen tragen Früchte – das zeigt sich etwa an der Illegalisierung von Abtreibungen, die kürzlich in mehreren US-Staaten beschlossen wurde, oder dem im Frühjahr 2024 durchgesetzten Bann von Pornografie z. B. in Texas.

Sexarbeit ist seit jeher ein besonders polarisierender Streitpunkt mit konträren Positionen. Die Fronten verlaufen hier nicht nur zwischen konservativen und progressiven Stimmen, sondern auch innerhalb der linken und feministischen Szene. 

Von Gegner*innen wird häufig angeführt, dass Sexarbeit eine Form von Ausbeutung und Unterdrückung von Frauen sei. Sie argumentieren, dass Sexarbeit patriarchale Strukturen verstärkt und Frauen zu Objekten degradiert. Schon an dieser Rhetorik zeigt sich, dass die Auseinandersetzung in Deutschland sehr binär verläuft. Die Realität, dass auch Transfrauen, Transmänner, nicht-binäre Menschen und Männer Sexarbeit leisten, wird dadurch nicht abgebildet1. Genauso verkürzt ist auch die Darstellung, dass es sich bei den Käufern von sexuellen Dienstleistungen nur um Männer, schlimmstenfalls sogar noch gewalttätige und ausbeuterische Männer, handele. Auch wenn die Mehrheit der Freier weiterhin männlich ist, gibt es auch genderqueere Personen und Frauen unter den Kund*innen, wie zum Beispiel Sexarbeiterin Kristina Marlen aus eigener Erfahrung weiß2. Wenn im Folgenden also von Frauen und Männern die Rede ist, dann zur Beschreibung der oft verkürzten Debatte in Deutschland.

Während Sexarbeiter*innen wie auch intersektionale Feminist*innen für mehr Rechte, weniger Stigmatisierung und besseren Schutz von Sexarbeiter*innen eintreten, gibt es eine (in Deutschland erstarkende) Bewegung, die Sexarbeit weiter kriminalisieren will. Dabei wird mit antifeministischen, sexistischen und emotionalisierenden Argumenten gearbeitet. Zum einen wird Frauen das Recht auf Selbstbestimmung abgesprochen und dafür auf eine paternalistische Rhetorik gegenüber Frauen zurückgegriffen: Frauen, die explizit klarstellen, dass sie aus freien Stücken als Sexarbeiterinnen tätig sind, wird teils kein Gehör geschenkt. Sie werden als traumatisierte Opfer dargestellt und dadurch diskreditiert. Sexualisierte Gewalt und Sexarbeit werden immer wieder gleichgesetzt. Dies ist ein Schlag ins Gesicht der Opfer von sexualisierter Gewalt und verunmöglicht es Sexarbeiter*innen, tatsächliche sexuelle Übergriffe zu benennen. Eine so undifferenzierte Argumentation schützt niemanden. So beschreibt Birgit Sauer, Politikwissenschaftlerin und Professorin an der Universität Wien, die Diskussion:

„Insgesamt fördert die Regelung von Sexarbeit durch solche ambivalenten Affekte die etablierten heteronormativen monogamen Gefühlsregeln von Liebe und Sexualität. Der abolitionistische Diskurs verschleiert die patriarchalen Strukturen, in die Sexualität und Geschlechterbeziehungen eingebettet sind, und betont stattdessen männliche Gewalt und Herrschaft. Damit negiert der Verbotsdiskurs zugleich die weibliche Handlungsfähigkeit.“3

In anderen Worten wird hier also kritisiert, dass mit der Verurteilung von Sexarbeit als per se ausbeuterisch und der Dämonisierung männlicher Freier eigentlich nur der allgegenwärtige Sexismus unserer Gesellschaft fortgeschrieben wird. Um diesen Sexismus nicht offen zur Schau zu stellen, wird nicht die Sexarbeit an sich kriminalisiert. Statt „die armen Frauen“ zu bestrafen, sollen sie geschützt werden, indem nur ihre Freier bestraft werden. 

Eine Kriminalisierung von Sexkauf ist als “nordisches Modell” bekannt, weil es zuerst in Schweden eingeführt wurde. Dieses Gesetzesmodell bestraft nur die Sexkäufer*innen und soll den Sexarbeiterinnen durch verschiedene Angebote den Ausstieg aus der Sexarbeit ermöglichen. Das Modell wurde mittlerweile in mehreren Ländern, darunter Nordirland und Frankreich, eingeführt. Während die länderübergreifende Bilanz ist, dass die Sichtbarkeit von insbesondere Straßenprostitution abgenommen hat, gibt es starke Kritik am Nordischen Modell. Einer der Hauptvorwürfe lautet, dass es die Sexarbeit nur weiter in die Illegalität gedrängt und prekarisiert hat, statt Menschenhandel, Ausbeutung oder sexualisierte Gewalt gegen Sexdienstleisterinnen zu unterbinden. Die Historikerin Sonja Dolinsek sagt: „Ein Verbot schafft Sexarbeit nicht ab. Ein Verbot schafft keine Gewalt ab. Ein Verbot schafft gewalttätige Freier nicht ab. Ein Verbot schafft keine Armut ab. Ein Verbot verschlechtert nur die Arbeitsbedingungen“. Diese These wird sowohl in der Forschung45 gestützt als auch von Amnesty International6 vertreten.

Die Sex Workers Alliance Ireland (SWAI) bringt es auf den Punkt: „Kriminalisierung von Sexarbeit führt zu Stigmatisierung und Vorurteilen. Wir brauchen eine vollständige Entkriminalisierung als ersten Schritt, um anzuerkennen, dass Sexarbeit in unserer Gesellschaft vorkommt und dass Sexarbeiter*innen Rechte und Respekt verdienen, so wie jeder andere auch!“

  1.  Es ist schwer, verlässliche Zahlen zur Anzahl der aktiven Sexdienstleister*innen zu finden. In Deutschland gab laut einer Analyse des Sexarbeits-Portals HUNQZ aus dem Jahr 2022 rund 1000 männliche Sexarbeiter (https://www.berufsverband-sexarbeit.de/index.php/2023/05/17/studie-von-hunqz-knapp-tausend-maennliche-sexarbeiter-in-deutschland/). Insgesamt waren 2022 rund 28.000 Menschen in Deutschland offiziell als Sexarbeiter*innen registriert (https://www.dw.com/en/germany-sex-worker-registrations-increase-after-pandemic/a-66820285).
    ↩︎
  2.  Bäuerlein, T. (2019). Warum Frauen Sex kaufen.Krautreporter. https://krautreporter.de/sinn-und-konsum/2751-warum-frauen-sex-kaufen ↩︎
  3. Birgit Sauer (2019): Mobilizing shame and disgust: abolitionist affective frames in Austrian and German anti-sex-work movements, Journal of Political Power, 12:3, 318-338, DOI: 10.1080/2158379X.2019.1669262 
    ↩︎
  4. Jay Levy, Pye Jakobsson (2014): Sweden’s abolitionist discourse and law: Effects on the dynamics of Swedish sex work and on the lives of Sweden’s sex workers, Criminology & Criminal Justice, 1 –15, DOI:0.1177/1748895814528926
    ↩︎
  5. Danna, Daniela (2012): Client-Only Criminalization in the City of Stockholm: A Local Research on the Application of the “Swedish Model” of Prostitution Policy, Journal Sexuality Research and Social Policy  Volume 9, Issue 1 , pp 80-93.
    ↩︎
  6. Amnesty International (2016, 26.Mai). Positionspapier. https://www.amnesty.de/sites/default/files/downloads/Amnesty-Position-zum-Schutz-der-Menschenrechte-von-Sexarbeiterinnen-und-Sexarbeitern-Mai2016.pdf 
    ↩︎

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